Konzert
„Kein Thema–eine deutsche Antwort“
Ein bizarres Sittengemälde
Der knarzige Passauer Sigi Zimmerschied mit seinem neuen Programm Kein Thema Eine deutsche Antwort im
Lustspielhaus
So richtig sympathisch waren die Figuren, die Sigi Zimmerschied in den letzten 49 Jahren auf die Bühne brachte, nie. Aber dieser Heini Himmerl, dessen Namen auf keinen Fall zufällig an Heinrich Himmler erinnert Hitlers Mann fürs wirklich
widerliche Grobe ist nicht einfach ein monströser Kauz, in dessen Einsamkeit sich eine niederträchtige Gegenwart spiegelt.
In seiner Mittelmäßigkeit ist er ein ganz besonders unangenehmer Zeitgenosse.
Heini hat endlich eine Profession gefunden, die nach einem Leben des multiplen Scheiterns ganz gut zu laufen scheint: Er ist ein Coach. Oder wie Heini sich am häufig klingelnden Telefon meldet: Work Life Balancing Trainer und No Problem World Creator.
Auf seiner Homepage fasst Zimmerschied Heini Himmerls Kompetenz prägnant zusammen und damit ganz nebenbei auch das Erfolgsmodell der politischen Kräfte an den braunen Schmutzrändern der Republik: Er kann nichts und weiß alles. Er löst Probleme, indem er sie leugnet. Er schafft neue, indem er sie behauptet.
Auch die München-Premiere seines 22. Programms im Lustspielhaus war wieder ein Triumphzug für den knarzigen Passauer.
Doch wie so oft ist auch Kein Thema – Eine deutsche Antwort nur bedingt lustig, sondern eher eine schmerzhafte Operation am offenen Herzen der Finsternis. Der 71-jährige Kabarettist hat in seiner langen Karriere unerschrocken Mächtige wie die CSU, die katholische Kirche oder den Bayerischen Rundfunk herausgefordert, aber am Glauben der vermeintlich Ohnmächtigen an den Despoten verzweifelt er zunehmend.
Doch abendfüllend wird nicht ein einziges Mal die AfD erwähnt, auch wenn einer der Kunden des Coachs eindeutig dazu gehört. Einen gewissen Herrn Wamp-Duschinger beruhigt er damit, dass seine Parteigenossen nicht geschaffen sind für einen zweiten Gedanken. Wie in der digitalen Welt gebe es nur die Null und die Eins, Tofu oder Leberkäs und die Bayern oder die Sechziger.
Oder Heini lehrt einen Herrn Zeiserl, nach Verlust seines Arbeitsplatzes tief verschuldet, von der Frau verlassen und von den Kindern verleugnet, das Mantra Ich bin stark. Es gibt keinen zweiten wie mich. Die Nächstenliebe ist Sünde, das Siegen das Sakrament, coacht Himmerl. Als alle Appelle, nach dem Hinfallen wieder Aufzustehen, folgenlos bleiben, hat der Berater einen finalen Tipp: Um über den Menschen zu schweben, hilft manchmal ein Strick.
Mit grantigem Witz macht sich Zimmerschied auch über radikal-feministisches Regietheater her, als der Schauspieler
Sonnenberg im Hamlet nicht den tragischen Titelheld spielen durfte, sondern nur eine Hausstaubmilbe. Zwischendurch
erscheint ihm der Vater, was auch ein Problem Hamlets ist. Und dann funkt immer wieder die Mutter dazwischen.
Sie mahnt, dass der Bub an seine Tabletten denkt wie auch an die Bewerbung für den Ethik-Rat bei Markus Lanz und sich
nicht ständig selbst zu befriedigen. Das Finale des beunruhigend bizarren Sittengemäldes über deutsches Wesen ist nicht so spektakulär, wie es vorstellbar wäre, sondern aufrichtig resigniert: Der Kabarettist vergräbt den Kopf stumm zwischen den Händen und langsam, sehr langsam wird es dunkel, während der Krawall des Mobs draußen lauter wird. Mathias Hejny